Unterrichtsausfall gestiegen – Dauerkranke Lehrer kosten jährlich 50 Millionen Euro
Der drastische Anstieg von Dauererkrankungen bei Lehrern hält an. Aktuell stehen 1550 Pädagogen den Schulen nicht zur Verfügung, womit sich ihre Zahl in den vergangenen fünf Jahren fast verdoppelt hat. Jährlich kamen rund 150 hinzu. Über 700 Betroffene sind schon länger als ein Jahr nicht mehr im aktiven Schuldienst. Dies geht aus einer noch nicht veröffentlichten Kleinen Anfrage des Grünen-Abgeordneten und Bildungsexperten Özcan Mutlu hervor. Die Kosten schätzt der Senat auf jährlich weit über 50 Millionen Euro, weil die Dauerkranken durch neue Lehrer ersetzt werden müssen. Zugleich hat auch der Unterrichtsausfall weiter zugenommen.
Da das bisher angebotene Gesundheitsmanagement offenbar nicht greift, plant die Bildungsverwaltung jetzt eine umfassende Befragung von Lehrern und Erziehern in allen öffentlichen Schulen. Bildungs-Staatssekretär Mark Rackles (SPD) erhofft sich davon Antworten auf die Frage, wie man den hohen Krankenstand senken kann. Dem Vernehmen nach ist bereits ein sechsstelliger Betrag für diese aufwendige Befragung im Entwurf für den Doppelhaushalt 2012/2013 berücksichtigt.
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) nannte diese Vorhaben am Mittwoch „begrüßenswert“, sofern die richtigen Fragen gestellt und aus den Antworten die richtigen Schlüsse gezogen würden. Die Gewerkschaft hatte angesichts des steigenden Krankenstandes immer wieder angemahnt, Altersteilszeit und Altersermäßigung zu gewähren, um den betreffenden Pädagogen das Durchhalten zu erleichtern. Laut Bildungsverwaltung sind die Dauerkranken im Durchschnitt 55 Jahre alt. Insgesamt gilt die Berliner Lehrerschaft mit durschnittlich 50 Jahren als überaltert. Fachleute weisen allerdings stets darauf hin, dass der Krankenstand nicht nur mit dem Alter, sondern auch mit der Atmosphäre und der Arbeitshaltung an der jeweiligen Schule zusammenhängt. Wenig gefruchtet haben die bisherigen Versuche, die Langzeitkranken in die Frühpensionierung zu schicken, um einen Teil der Besoldung zu sparen: Die dafür notwendigen amtsärztlichen Untersuchungen nehmen nach wie vor eine lange Zeit in Anspruch.
Nach Informationen des Tagesspiegels kommt es außerdem noch immer vor, dass Lehrer amtsärztliche Termine verstreichen lassen. Inzwischen wird der Ton der Verwaltung allerdings schärfer: Dem Vernehmen nach sollen die betroffenen Lehrer jetzt nicht mehr damit durchkommen, wenn sie sich mit Attesten ihrer behandelnden Ärzte dem Besuch beim Amtsarzt entziehen wollen. Anders als Angestellte bekommen Beamte die volle Lohnfortzahlung so lange sie krank sind – mitunter mehrere Jahre lang: Mit der Frühpensionierung entginge ihnen daher eine Menge Geld. Kaum aufgegangen ist der Plan, langzeitkranke Lehrer, die sich andere Tätigkeiten im Schuldienst zutrauen, auf freiwilliger Basis in andere Stellen zu vermitteln: Bisher gelang das laut Rackles nur bei 31 Kräften. Man prüfe aber „weitere Maßnahmen“, um die Zahlen zu erhöhen.
Die Kleine Anfrage von Özcan Mutlu hat aber noch etwas Anderes ergeben: Der Unterrichtsausfall ist wieder leicht angestiegen – von 2,1 auf knapp 2,3 Prozent. Allerdings gibt diese Zahl kein genaues Bild, da beispielsweise der tage- oder in der Summe sogarwochenlange Ausfall im Rahmen der Abiturarbeiten überhaupt nicht berücksichtigt wird. Weitere acht Prozent des Unterrichts werden nur in Vertretung gegeben – mitunter von fachfremdem Lehrpersonal oder nur in der Form, dass Schüler eine Arbeitsaufgabe ohne Aufsicht erhalten. Mutlu fordert daher vom Senat, „dringend“ zu reagieren – durch Gesundheitsprävention, Einstellung junger Lehrer und Entlastung der Beschäftigten.
Die GEW versucht seit längerem, mit ihrer Kampagne „Alte stärken“ eine Arbeitsentlastung für ältere Lehrkräfte erneut zu erstreiten. Die Altersermäßigung war im Zuge von Sparzwängen weggefallen. Berlin ist laut GEW das einzige Bundesland, das den Lehrern ab 58 oder 60 Jahre keine Ermäßigung bei den Unterrichtsstunden gewährt. Angesichts der vielen Reformen und den damit einhergehenden Belastungen sei das nicht hinnehmbar.
QUELLE: Tagesspiegel vom 29.03.2012 – Bericht von Susanne Vieth-Enuts